Einen großen Teil ihres Lebens verbringen Menschen in der Arbeit - Kirche engagiert sich auch in diesem Bereich - beispilsweise mit Arbeitsseelsorgerinnen und Arbeitsseelsorgern.
Bild: Wolfgang Noack
"Arbeit ist mehr als Wohlstandsproduktion"
Herr Lysy, wie ist die Kirche in der Arbeitswelt präsent?
Peter Lysy: Neben den berufsbezogenen Diensten wie der Altenheim-, der Krankenhaus- oder auch der Polizeiseelsorge ist das vor allem über den „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“ (kda Bayern) und seine vielfältigen Angebote.
Unsere Mitarbeiter*innen gehen in ganz Bayern in Betriebe, besuchen und begleiten etwa Betriebsräte oder sind auf Betriebsversammlungen als Vertreter*innen der Kirche eingeladen. Gerade bei Betriebskrisen begleiten und unterstützen wir Menschen mit Gesprächsangeboten, solidarischer Präsenz und geistlichen Angeboten. Mit Gewerkschaften, Verbänden und Kammern sind wir im regelmäßigen Austausch. Mit dem Handwerk kooperieren wir bei der „Aktion 5000 Brote“, wo jedes Jahr in ganz Bayern Konfirmand*innen in Bäckerstuben in ihrer Gemeinde backen und der Erlös ihrer Backwaren „Brot für die Welt“ zugutekommt.
Die Aktion „1+1 – mit Arbeitslosen teilen“ ist auch im kda Bayern angesiedelt. Hier unterstützen wir die Integration in Arbeit von Langzeiterwerbslosen in zahlreichen Projekten in Diakonie und Kirche in Bayern. Zudem bieten wir Bildungsveranstaltungen zu aktuellen Themen aus der Arbeitswelt an, die wir oft zusammen mit der Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (afa) durchführen.
Warum braucht es einen "Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt"?
Peter Lysy: Arbeit prägt unsere Gesellschaft und macht einen großen Teil des Lebens vieler Menschen aus. Daher sollte es selbstverständlich sein, dass Kirche hier präsent ist und sich auskennt. Schließlich wird auch in der Bibel vom arbeitenden Menschen ausgegangen. Martin Luther hat das zugespitzt einmal so formuliert: „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“
Was aber ist dem arbeitenden Menschen verheißen? Wie sieht menschengerechte Arbeit aus? Was haben wir denen eigentlich mitzuteilen, die unter ihrer Arbeit leiden, die ihre Arbeit verloren haben, die ängstlich oder hoffnungsfroh ins Arbeitsleben starten oder motiviert an der Zukunft der Arbeit bauen? Und was können wir von ihnen lernen, als Christenmenschen und als Organisation Kirche?
Eine Kirche, die an der missio Dei Anteil hat, kann das unsere Welt so stark prägende Feld der Arbeit gar nicht außen vorlassen. Sie steht ja selbst als Organisation mittendrin.
Für wen sind Sie da?
Peter Lysy: Im Jahr 2022 gab es über 7 Millionen Erwerbstätige mit Arbeitsort in Bayern. Dem gegenüber stehen bayernweit 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“. Realistisch gesehen können wir also nicht für jede und jeden da sein. Dennoch lautet unser Auftrag, für alle Menschen in der Arbeitswelt da zu sein. Das ist natürlich ein weites Feld. Es heißt aber insbesondere, dass wir „ohne Ansehen der Person“ unsere Arbeit verrichten. Am Tisch des HERRN wird ja auch nicht gefragt, welche Stellung jemand im Betrieb hat. Und natürlich hören wir genau denjenigen in der Arbeitswelt zu, die keine Stimme haben, die unterzugehen drohen, die benachteiligt und unterdrückt werden. Denn sie haben uns viel darüber zu erzählen, wo Strukturen einfach nicht menschengerecht sind.
Wir unterstützen also den Jugendlichen ohne Schulabschluss ebenso wie die Warenhaus-Verkäuferin, die ihren Arbeitsplatz verloren hat. Wir sind an der Seite des Arbeiters, der einen fairen Lohn fordert, wie des mittelständischen Handwerksmeisters, der keine Azubis findet, und haben ein Ohr für den gemobbten Betriebsrat wie die unter Burn-Out leidende Managerin.
Kommen Sie da nicht manchmal in Konflikt?
Peter Lysy: Natürlich. Konflikte gibt es in jedem Bereich der Arbeitswelt. Wir als Kirche sollten uns daran gewöhnen, dass Konflikte einfach dazugehören. Wir sind nur dann glaubwürdig, wenn wir ihnen nicht ausweichen, sondern uns bewusst hineinbegeben. Manchmal können wir zur Konflikt-Lösung beitragen, manchmal reicht es, dass wir einfach da sind und gemeinsam mit anderen eine schwierige Situation aushalten.
Roland Hacker/Johannes Rehm
Die 16 Gesichter der „Lebenskunst Handwerk“
130 Ausbildungsberufe gibt es im Handwerk. Das Buch „Lebenskunst Handwerk“ portraitiert Handwerker*innen aus 16 Arbeitsfeldern und nimmt die Verbindung von Kirche und Handwerk in den Blick. Vom Bauschlosser über die Friseurin und den Metzger bis zur Optikerin kommen Menschen aus ganz Bayern zu Wort.
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Gibt es das: Arbeit aus christlicher Sicht? Wie sieht sie aus?
Peter Lysy: In unserem Verständnis im kda Bayern ist Arbeit mehr als Erwerbsarbeit. Arbeit findet auch da statt, wo Menschen für andere tätig sind, auch wenn sie nicht entlohnt werden, etwa im Bereich der Care-Arbeit oder des Ehrenamtes. Wenn wir über Arbeit nachdenken, fragen wir zuerst: Wozu arbeiten wir? Aus christlicher Sicht ist diese Frage mit dem zu beantworten, was Martin Luther als „Beruf“ bezeichnet und damit darauf aufmerksam gemacht hat, dass unser Tun an der Not des Nächsten ausgerichtet bleibt. Auch wenn es in unserer Arbeitswelt viel zu häufig um Vermögens- oder Statuserwerb geht, so ist es doch möglich, dort auch Luthers Berufslogik zu beobachten, zu lernen und zu leben. Strukturen für „gute Arbeit“ können diesen Geist ebenso atmen wie ein kooperatives Miteinander.
Was sind derzeit die dringendsten Themen? Wozu hat die Kirche Stellung zu nehmen?
Peter Lysy: Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche. Das betrifft auch die Arbeitswelt. Zum einen sind hier der demografische Wandel und der damit verbundene Fachkräftemangel zu nennen. Das führt derzeit zu einem Bewerbermarkt, zum Versuch der Mobilisierung aller „Arbeitskräfte-Potenziale“, aber auch zu eigentümlichen Stilblüten wie einer – auch innerkirchlich – geführten Debatte über die Arbeitswilligkeit der jüngeren Generationen. Es braucht von kirchlicher Seite eine Erinnerung daran, dass Arbeit mehr ist als Wohlstandsproduktion und das Leben und Arbeiten aus viel mehr schöpft als der eigenen Arbeitsleistung. Hier wäre eine Besinnung auf den Sonntag wichtig, an dem wir den Gott feiern, der auch von seinem eigenen Werk ruht und uns Menschen zum Handeln überhaupt erst segnend zurüstet.
Zum zweiten ist die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu erwähnen. Diese wird von nicht wenigen Menschen als bedrohlich wahrgenommen, weil es am Ende um Wohlstandsverluste geht. Gerade auch für diejenigen, deren Arbeitsplätze im Transformationsprozess als erstes auf dem Spiel stehen, wird das schnell existentiell. Das sollte die Organisation Kirche im Blick haben, wenn sie öffentlich ihre Stimme erhebt, und dabei deutlich machen, dass sie diese existentiellen Nöte nicht nur ernst nimmt, sondern wirklich kennt und sich davon ansprechen und bewegen lässt.
Dazu gehört auch, Menschen, die arm sind in unserem Land ohne oder trotz Arbeit, im Blick zu behalten. Hier geht es um Löhne, die zum Leben reichen wie auch um gute Arbeitsbedingungen. Und schließlich stellt sich die Frage, wie unser Staat – und das sind ja am Ende wir alle – mit Menschen in Erwerbslosigkeit umgeht. Bilden wir ab, dass es ein Recht auf ein Existenzminimum gibt, das diesen Namen auch verdient?
Peter Lysy
Pfarrer Peter Lysy ist Leiter des Kirchlichen Diensts in der Arbeitswelt (kda) in Nürnberg.
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19.10.2023
ELKB