"Es herrscht der Eindruck: Wir sind zu wenige, es passiert zu wenig, wir können nichts bewirken."
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Jugend und Frieden
An der Hoffnung festhalten
Die Angst vor einem Krieg in Europa ist unter jungen Menschen in Deutschland deutlich gewachsen. Das belegt die neue Shell-Jugendstudie aus 2024. Doch was können Jugendliche tun, um den Frieden zu bewahren oder wieder herzustellen, und wie hoffnungsvoll sind sie?
Atran Youkhana ist Politikwissenschaftler und Traumaberater und arbeitet seit Jahren mit Jugendlichen aus Israel, Palästina, Bosnien-Herzegowina, dem Irak und Deutschland.
Wings of Hope
Die Stiftung "Wings of Hope" Deutschland wurde Anfang 2003 von der bayerischen Landeskirche gegründet. Wings of Hope hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen, vor allem in Kriegs- und Konfliktgebieten, wieder Wege aus dem Trauma der Gewalt zu eröffnen. Schwerpunkt der Arbeit bildet die psychosoziale Hilfe für Kinder und Jugendliche, die durch Kriege und Gewalt traumatisiert wurden. Auf dem Labenbachhof findet jährlich das Sommercamp für junge Erwachsene aus dem Irak, Palästina, Israel und Bosnien-Herzegowina statt.
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Herr Youkhana, wie können sich junge Menschen für den Frieden einsetzen, was können sie tun und welchen Unterschied machen sie?
Die Fragen, die Sie stellen sind groß. Ich merke im Rahmen unserer Arbeit bei Wings of Hope, wenn wir über Hoffnung oder über Frieden mit jungen Menschen sprechen, geschieht das zunehmend in düsteren und hilflosen Kontexten. Es herrscht der Eindruck: Wir sind zu wenige, es passiert zu wenig, wir können nichts bewirken.
Das hört sich erschreckend ernüchternd an!
Hätten Sie mich vor drei Jahren gefragt, wäre die Antwort sicher eine andere gewesen. Die jungen Menschen, mit denen ich zusammentreffe, waren zuversichtlicher.
Ich persönlich bin zu dem Punkt gelangt, wir setzen uns ein, weil unser Gewissen das von uns verlangt. Wir haben zwei Wochen lang, im Rahmen unserer Sommerakademie, mit Jugendlichen gearbeitet, die sich alle aktiv gegen den Krieg einsetzen und doch wissen sie: Die Chance ist groß, dass wir am Ende trotzdem verlieren. Ich denke manchmal, wie kann ich heute über Frieden reden, ohne mich auf naive Art lächerlich zu machen? Krieg ist in der Gesellschaft scheinbar zunehmend akzeptiert.
Was motiviert Sie dennoch weiterzumachen?
Wir machen das, weil wir Menschen bleiben wollen. Im Sommer haben einige friedensbewegte Gruppen in München eine Hiroshima-Mahnwache organisiert. Wir wollten auf die Bedrohung und Gefahren von Atomkrieg aufmerksam machen. Wir haben jede Menge Werbung dafür gemacht, das war viel Arbeit. Am Ende waren außer uns und unseren Freunden sind vielleicht ein paar Dutzend Menschen zu der Veranstaltung gekommen. Da fragt man sich natürlich, wofür? Aber wenn wir das nicht gemacht hätten, hätten wir auch diese Menschen nicht erreicht. Ich kann mich mit kleinen Erfolgen motivieren. Man muss aber suchen, um an der Hoffnung festhalten zu können.
"Wo sind die jungen Leute alle? Warum demonstrieren sie nicht?"
Atran Youkhana
Woran liegt die scheinbare Gleichgültigkeit ihrer Meinung nach?
Ich kann da auch nur raten. Zu viel Ablenkung, man möchte sich lieber mit schönen Dingen beschäftigen oder Krieg ist zur Normalität geworden. Ich bin in verschiedenen Friedendbündnissen aktiv, das Durchschnittsalter bei all den Organisationen liegt bei etwa 70 Jahren. Wenn ich daran denke, wie viele in den 80er Jahren oder gegen den Irakkrieg auf der Straße waren, frage ich mich: Wo sind die jungen Leute alle? Warum demonstrieren sie nicht?
Sie arbeiten regelmäßig mit Jugendlichen zusammen und organisieren die Sommerakademie für interkulturellen Dialog. Das ist ein Projekt aus der Friedens- und Dialogarbeit der Stiftung Wings of Hope.
Ja, seit 2007 kommen jedes Jahr 25 junge Menschen aus Bosnien und Herzegowina, Kurdistan-Irak, Palästina und Israel sowie aus Deutschland zu einem zweiwöchigen Begegnungsprogramm zusammen. Das sind junge Menschen, die sagen, so geht es nicht weiter, die möchten miteinander reden und erfahren, was die Ängste und Realität der Anderen sind. Sie wollen zusammen dafür kämpfen, dass Frieden herrscht.
Welche Themen gehen Sie mit den Jugendlichen an?
Wir sprechen über Friedenspolitik, Menschenrechte, internationales Recht, beschäftigen uns mit Traumata, Auswirkung von Gewalt, Erinnerungskultur, Entmilitarisierung oder interreligiösen Impulse.
Können Sie feststellen, dass sich die Stimmung in diesem Jahr verändert hat?
Ja, vor allem natürlich bei den Jugendlichen aus Palästina und Israel. Aber nicht nur, die Kriege haben ja auf unterschiedlichen Ebenen Auswirkungen auf alle. Man merkt aber auch bei diesen engagierten jungen Menschen eine Resignation. Sie erfahren seit Jahren, dass sie nicht viel ändern können und sich auch nichts ändert.
Was sind die größten Hindernisse im Dialog, die überwindet werden müssen?
Die Narrative an denen festgehalten wird, die aber kritisch hinterfragt werden müssten. Oft werden Staat, Politik und Medien grundsätzlich abgelehnt und ich kann mir gut erklären woher das kommt und die Skepsis ist sehr gerechtfertigt. Man vertraut einzig den Narrativen die in den Familien, Dörfern oder Communities erzählt werden. Auch kluge und gebildete Menschen stehen oft unkritisch den eigenen Narrativen gegenüber. Man will das Bild aufrechterhalten, weil man es sich vielleicht so wünscht. Wir hatten zum Beispiel einen Iraker in der Gruppe, der überzeugt war, dass in seiner Heimat alle Menschen gleichbehandelt werden und niemand verfolgt wird, ungeachtet der Religion oder Herkunft. Die Realität ist aber eine ganz andere.
Wie begegnen sie dem?
Ein Teil unserer Arbeit ist es, die Perspektiven auch mal zu hinterfragen und die anderen Seiten aufzuzeigen. So haben etwa die israelischen TeilnehmerInnen die bestehenden Narrative in ihrer Gesellschaft beiseitegelegt und engagieren sich aktiv gegen ihre Regierung. Sie setzen sich aktiv für den Frieden ein und wollen Gewalt nicht akzeptieren, darüber haben sie in ihrer Heimat teilweise sogar Freunde verloren.
In all der Ernüchterung, wie schauen Sie in die Zukunft?
Besorgt. Vor ein paar Wochen hätte ich gesagt, es wird nicht schlimmer, aber dann sehe ich z.B. die Bilder aus Gaza oder Beirut. Wir sind aber an einem Punkt, an dem Krieg was Normales zu sein scheint. Das ist es natürlich nicht. Es gibt immer andere Wege. Aber der Krieg hat Befürworter und eine interne kranke Kriegslogik. Die schraubt sich zunehmend hoch.
Was wäre jetzt wichtig?
Wir müssen als Gesellschaft einvernehmlich die Menschenrechte als Referenz wieder akzeptieren und uns für den Frieden einsetzen und daran glauben. Das wäre ein erster großer und wichtiger Schritt.
Atran Youkhana
Jahrgang 1984, ist Politikwissenschaftler und Traumaberater. Koordiniert bei Wings of Hope seit 2014 die Friedens- und Traumaarbeit im Nahen Osten.
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22.10.2024
ELKB