Der Veröffentlichungstag der Forumstudie ist für die Landeskirche ein wichtiger Tag, sagt Landesbischof Christian Kopp.

Umgang mit sexualisierter Gewalt

"Noch viel genauer hinschauen"

In einer groß angelegten ForuM-Studie haben die EKD und ihre Mitgliedskirchen die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersuchen lassen. Jetzt wurden die Ergebnisse präsentiert.

Von der Studie des unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsprojekts ForuM erwartete sich die bayerische Landeskirche viel: eine objektive und unabhängige Analyse, welche institutionellen Rahmenbedingungen zu den Fällen sexualisierter Gewalt beigetragen oder sie zumindest begünstigt haben. "Sie werden uns helfen, zu erkennen, wo wir bisher noch blinde Flecken hatten, um dann dort sehr viel genauer hinzuschauen und konsequent zu handeln“, so Landesbischof Christian Kopp.

Kopp: "Es schreit zum Himmel"

In einem Brief hat  sich der Landesbischof einen Tag nach der Veröffentlichung der Studie an die Gemeinden und Einrichtungen der Landeskirche gewandt. Darin bekräftigte Christian Kopp erneut, dass es keine Toleranz gegenüber sexualisierter Gewalt geben dürfe: „Sexualisierte Gewalt darf keinen Platz haben in unserer Kirche!“ Er selbst stehe fassungslos vor jedem Fall einer betroffenen Person, so der Landesbischof. "dass es im Raum der Evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Frauen und Männer gibt."

 „Es schmerzt mich zutiefst, dass Menschen im Raum der bayerischen Landeskirche und Diakonie unter sexualisierter Gewalt gelitten haben und immer noch leiden“

Landesbischof Christian Kopp

Die Handlungsempfehlungen der Wissenschaftler*innen sollen nun Grundlage für weitere institutionelle Aufarbeitung werden. "Die ForuM-Studie wird uns damit helfen, die Fälle sexualisierter Gewalt im kirchlichen Umfeld besser zu verstehen, besser mit den betroffenen Personen umzugehen und das Auftreten sexualisierter Gewalt in Zukunft besser zu verhindern." Denn, darin ist sich die Kirchenleitung der ELKB einig, Erniedrigung sowie körperliche und psychiche Verletzung durch sexualisierte Gewalt widersprechen dem christlichen Glauben und Auftrag.

Umso beschämender ist es, dass Menschen in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen sexualisierte Gewalt erfahren haben und dass der Schutz von Amtsleuten immer wieder höher bewertet wurde als der Schutz und die Begleitung Betroffener. Das ruft zur Aufarbetung und zu konsequentem Handeln auf. Zukünftig sollen betroffene Personen noch stärker einbezogen werden als bisher. Eine uneingeschränkte Zusammenarbet mit staatlichen Ermittlungsbehörden war und ist eine Selstverständlichkeit. "Wir lernen aus Fehlern der Vergangenheit und schaffen jetzt und in Zukunft sichere Räume des Zusammenlebens in Kirche und Diakonie", so die Kirchenleitung.

Was wird in der bayerischen Landeskirche gegen sexualisierte Gewalt getan?

Auch schon vor der Studie hat die Bayerische Landeskirche Maßnahmen gegen sexualisiserte Gewalt in ihren Reihen ergriffen:

Eingerichtet wurden Präventions- und Aufarbeitungsstrukturen:

Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ELKB (zugeordnet dem Büro des Landesbischofs) mit den Arbeitsbereichen:

  • Ansprechstelle, Meldestelle, Prävention
  • Anerkennungskommission
  • Kontakt mit betroffenen Personen: regelmäßige Treffen mit Landesbischof, kirchenleitenden Personen und Fachstelle

In einem 2021 beschlossenen Rahmenschutzkonzept sind Bausteine für zu erstellende Schutzkonzepte auf allen Ebenen festgehalten: Bis Ende 2025 sollen alle Kirchengemeinden, Dekanate, Einrichtungen und Dienste der ELKB und der Diakonie Bayerneine eigene Risikoanalyse und ein eigenes Schutzkonzept erarbeiten. Zudem sollen alle haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden der Kirche und Diakonie eine Basisschulung zum Thema Prävention vor sexualisierter Gewalt erhalten sowie Ansprechpersonen und Präventionsbeauftragte benannt werden. Verantwortlich für die Umsetzung sind der Kirchenvorstand bzw. die Leitung der Einrichtung.

Seit 2019 arbeitet die Meldestelle der ELKB. Die ELKB begrüßt es, wenn bei einem Verdachtsfall die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Denn nur die Staatsanwaltschaft hat umfassende Möglichkeiten zu ermitteln. Die ELKB hat keine eigenen Ermittlungsbehörden, und ist den staatlichen strafrechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen. Eine Strafanzeige durch die Kirche erfolgt in der Regel mit dem Einverständnis der betroffenen Personen, oder in begründeten Fällen, um weiteren Schaden für andere Menschen abzuwenden und bei schweren Straftaten. Im Verdachtsfall unterstützen die Mitarbeitenden der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) die betroffene Person.

Zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in ihrem Verantwortungsbereich gibt es in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern seit 2015 die „Anerkennungskommission zur Gewährung von Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts an Betroffene sexualisierter Gewalt“. Betroffene haben die Möglichkeit, eine finanzielle Leistung zu beantragen. In den 75 Fällen, die von der Anerkennungskommission behandelt wurden, sind Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen von mehr als 1.500.000 Euro zuerkannt worden.

Die ForuM-Studie ist ein Forschungsprojekt, das von der EKD mit ihren 20 Landeskirchen beauftragt wurde. Sie umfasst die alle Fälle sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen, die der Landeskirche bekannt geworden sind, insbesondere seit 1999 über die Ansprechstelle und seit 2019 über die Meldestelle. Darüber hinaus wurden alle Disziplinarakten der Pfarrpersonen, die ab 1945 bei der ELKB beschäftigt waren, einbezogen. Bei der Überprüfung wurde der Begriff „sexualisierte Gewalt“ weit gefasst und jedes die sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigende Verhalten aufgenommen. Das bedeutet, dass bei den erfassten Fällen sowohl solche dabei sind, die eine strafrechtliche Relevanz haben, als auch solche, die ein nicht strafrechtlich relevantes grenzverletzendes oder übergriffiges Verhalten betreffen. In der Summe hat die ELKB 129 beschuldigte Personen und 226 Taten an die Forschenden des ForuM-Projekts gemeldet. Von den 129 beschuldigten Personen sind 56 Pfarrpersonen. Die anderen sind  Erzieher (in Heimen), ehrenamtliche Jugendleiter und Kirchenmusiker.

24.01.2024
ELKB